Die Schokoladenmacher zu Steinhude

In Schulbüchern, Aufsätzen und Prospekten über den Fremdenverkehr wird immer wieder hervorgehoben, dass unter dem berühmten Grafen Wilhelm (1749-1777) die erste Schokoladenfabrik Deutschlands in Steinhude 1761 gegründet wurde. Nach einer Lesart soll der Graf die Anregungen aus Portugal mitgebracht haben bzw. sollen sogar Portugiesen in Steinhude tätig gewesen sein, um die Fabrikanten mit der Herstellung der Schokolade bekannt zu machen. Diese Angaben las-sen sich bis heute weder durch Schriftstücke oder durch Urkunden des Schaumburg-Lippischen Landesarchivs (im Staatsarchiv Hannover) noch durch das Hofkammerarchiv belegen. Es bleibt nur noch die Möglichkeit, dass sich hierüber Schriftstücke in Privathand befinden.

In den 50er Jahren veröffentlichte der Archivar A. Wehling aus Stadthagen einen Zeitungsartikel, der sich mit der Schokolade in Steinhude beschäftigte: „Seit wann gab es die Schokoladenmacherei in Steinhude?“.

Er schreibt u. a. darin:
„In dem 1859 erschienenen 6. Band von „Westermanns Jahrbuch der Illustrierten Deutschen Monatshefte, ein Familienbuch für das gesamte geistige Leben der Gegenwart“ schreibt Dr. Landau Seite 296 in seinem Aufsatz „Das Steinhuder Meer“ von dem Flecken Steinhude am Meer: „Früher wurde eine ausgezeichnete Schokolade hier bereitet und noch heute wissen viele von Steinhude nichts, kennen und schätzen aber das treffliche Fabrikat, das immer den alten Namen führt, jetzt aber nicht mehr in Steinhude, sondern in Hagenburg bereitet wird.“

Wilhelm Fuchs erzählt 1886 in dem „Lesebuch für die Volksschulen des Fürstentums Schaumburg-Lippe“ von Steinhude von Otto Notholz und Wilhelm Meier in seinem Lesestück „Das Fürstentum Schaumburg-Lippe“ von Steinhude: „Noch jetzt lebt seine Bevölkerung teilweise von der Fischerei, daneben blüht aber seit langer Zeit die Drell- und Damastweberei und die weit bekannte Fabrikation der Schokolade“.

In seiner bekannten Geschichte des Grafen Wilhelm im Siebenjährigen Kriege erwähnt Strack von Weißbach – das Buch erschien 1889 in Bückeburg – Seite 170: „Ferner entstand auf seine Anregung eine Damastweberei sowie Etablissements zur Verfertigung von Schokolade“, er sagt aber nicht wo, ob in oder anderswo.

Wilhelm Wiegmann berichtet 1905 und auch 1912 in seiner „Heimatkunde des Fürstentums Schaumburg-Lippe“ über Steinhude u. a. wie folgt: „Eine eigenartige Industrie wurde durch den Grafen Wilhelm begründet. Derselbe veranlasste nämlich nach seiner Rückkehr aus Portugal zwei Portugiesen, die gute Beziehungen zu den Kakaokolonien unterhielten, in Steinhude eine Schokoladenfabrik anzulegen. Diese um das Jahr 1765 gegründete Fabrik soll die erste in Deutschland gewesen sein. Den Portugiesen folgten später deutsche Fabrikanten“.

Wehling fährt fort: „So lesen wir seit 100 Jahren in vielen Heimatbüchern und Heimataufsätzen – ich habe nur einige wenige aus der älteren Zeit herausgegriffen – dass es einst eine Schokoladenfabrik in Steinhude gegeben hat, die vom Grafen Wilhelm in den 1760er Jahren angelegt sei und die ersten Hersteller daselbst Portugiesen gewesen seien, die er aus Portugal, wo er bekanntlich. 1762/63 gewesen ist, mitgebracht habe. Und wieviele ausgeschnittene Zeitungsaufsätze aus den letztvergangenen Jahrzehnten ich verwahre, in denen von dieser „Sage“ als Tatsache die Rede ist, weiß ich nicht zu sagen. Ihre Verfasser haben seit Jahr-zehnten immer einer vom anderen abgeschrieben. Steinhuder Bewohner, Zeitungsredakteure, Heimatfreunde, niedersächsische Schriftsteller, ja selbst gelehrte Doktoren, Historiker und Wissenschaftler haben die „Sage“ als historische Tatsache aufgetischt“.

Zu einem anderen Schluß verleiten die Eintragungen in den Kirchenbüchern, Beerdigungsregistern und des Landesarchivs, die hier folgen:
„1752, den 16.1. als Dom. 2 post Epiph. ist Herr Johann Heinrich Schwabe, Schokoladenmacher und ehemaliger Bürgermeister hier zu Steinhude begraben, seines Alters 75 Jahre weniger 6 Wochen. Er ist 20 Jahre bey einem Grafen zu London in Dienst gewesen, woher er auch seine Ehefrau mit nach Steinhude gebracht. Von 1729 bis 1737 und von 1742 bis 1746 ist er hierselbst Bürgermeister gewesen. Er ist am Schlage gestorben wovon er schon 3/4 Jahr vorher einen starken Unfall gehabt, so daß er nach solcher Zeit zwar wohl wieder gehen, aber nicht arbeiten und fast nichts reden können, als ja und nein. In diesem Zustande suchte er den Herrn.“

Hiernach hat der Bürgermeister Johann Heinrich Schwabe wahrscheinlich schon mehrere Jahrzehnte vor 1761 die Schokoladenmacherei in Steinhude betrieben, die nach seinem Tode auf seinen Sohn übergegangen sein muß:

„1753, den 14. Februar als am Dom. Septuagesimae ist Henrich Schwabe, Chokoladenmacher zu Steinhude begraben, alt 34 Jahre. Er ist an Schwindsucht gestorben.“

Dieser 1753 verstorbene Sohn war auch Schokoladenmacher!! Die Witwe dieses so jung verstorbenen Schokoladenmachers Henrich Schwabe heiratete noch im gleichen Jahr:
„1753, den 18. September. Der Junggeselle Christian Meinke, Hochgräfl. Leibschiffer, und bürtig von Obermaschach in Mecklenburgischen, und Philippine Margarethe weyl. Henr. Schwabens Chokoladenmachers zu Steinhude nachgelaßene Witwe, sind Dom. 11.12 und 13 proclamirt und auf Hochgr. Dispensation den 18. Sept. copulirt.“

Daß sich der Schiffszimmermann und Leibschiffer des Grafen Wilhelm eines guten Rufes und Ansehens erfreute, geht aus einer weiteren Eintragung hervor.
„1754, den 14. Juni hat Christian Meineke Hochgrfl. Schiffer zu Steinhude ein den 8ten ejusd. gebohrenes Söhnlein taufen lassen. Im Namen Ihrer Erlauchten unser gnädigsten Grafen und Landesherrn hat es Herr Amts-Rath Barkhausen zu Hagenburg zur Taufe gehalten und Wilhelm genannt.“

Die finanzielle Lage des Schokoladenmachers Schwabe muß eine außerordentlich schwierige gewesen sein, wie aus nachstehendem Amtsprotokoll einwandfrei hervorgeht:
„1753, den 12. Marty, Amt Hagenburg. Des seel. Bürgermeisters Schwabens hinterlassene Witwe zu Steinhude erschien an hiesigen Amte und stellte mit mehreren vor, gestalten dieselbe Alters und Schwachheitshalber sich mit ihrer Hände Arbeit nicht mehr ernehren könnte, bath also, dass man Amtswegen vor sie sorgen und ihr ad vita alimenta verschaffen und allenfalls von denen Kauf-Geldern vor Sie so viel zurückbehalten möchte, wovon sie lebenslang ihren Unterhalt erwarten könte, falls aber die Creditors sich dazu nicht accomodiren, und soviel von ihren Forderungen schwinden laßen wollten als zu ihres Lebensunterhalt erfordert werden dürfte, so fünde sie sich gemüßiget, die ihr in denen Rechten reservierte Beneficia zu ergreifen, und ihre illata zu respectiren, welche weit mehr als die Kauf-Gelder betragen würden so von ihres Mannes verkauften Gütern gehoben worden. Nachdem man nun Amtswegen sich vorhin alle Mühe gegeben, um eingangs gemeldete Witwe Schwaben gegen Erlegung einer gewißen Summe Geldes in ein Pflege- oder Armen-Haus unterzubringen, wo selbst dieselbe ad dies vita ernehret und versorget werden möchte, so hat doch niemand dieselbe annehmen wollen, und ist also alle diesfals angewante Bemühung vergebens gewesen. Es ist demnach Amtswegen mit Zuziehung und Genehmigung des Herrn Pastors Peitmann zur Steinhude resolviret worden, daß zur Alimentation dieser alten Frau ein Capital ad 160 Thalern jährlich aufkommenden Acht Reichsthaler Zinsen der Witwe zu ihren Unterhalt gereichet werden solle. Weil aber dieselbe von diesen 6 Rth. unmöglich subsistiren kann, so ist ferner beliebet, daß derselben zu diesen 8 Rthl. Mithin jährlich überhaupts 16 Rthl. aus der Armen-Gasse ad dies vi-tae bezahlet und dagegen dieses Capital aus ihrer kurtz oder lang erfolgten Todesfall der Armen-Gasse gänzlich sacrificiret werden solle, dergestalt, daß die Erben gedachter Witwe oder deren Crediteres an diesen Capital der 160 Rthl. nicht den geringsten Anspruch oder Forderung machen können, und da die Witwe Schwaben diese vom Amte gemachte Einrichtung acceptiret und genehmiget, so ist derselben sowohl als denen Armen-Cura-toribus zur Steinhude gegenwärtiges Protocollum zu ihrer Versicherung in forma probante abschriftlich ertheilet worden. So geschehen eodem
HGS Lippisches Amt Hagenburg J.M. Barkhausen“.

„1764, den 15. Januar als Dom.2.-post.Epiph. ist Frau Sara Morres geb. Lueßer gebürtig aus England, weil Joh. Henrich Schwaben gewesenen Bürgermeister und Chokoladen-Machers zu Steinhude nachgelassene Witwe begraben worden, alt 74 Jahre. Sie hat ein erbauliches Ende genommen.“

Das Recht der Schokoladenmacherei zu betreiben, übte die nunmehr zum zweiten Mal verheiratete Philippine Margarete mit ihrem Mann mit Erfolg aus. Inzwischen war Meinke Bürgermeister geworden. Im Siebenjährigen Kriege wurde während der Abwesenheit des Grafen in Portugal die Gemeinde Steinhude aufgefordert, sich an den Arbeiten zur Errichtung des Wilhelmsteins zu beteiligen. Das lehnte der Bürgermeister Meinke unter Berufung auf die Privilegien entschieden ab. Er fiel in Ungnade und wurde nach der Rückkehr des Grafen als Bürgermeister 1763 abgesetzt. Meinke übte sein Handwerk als Schiffszimmermann und gleichzeitig das eines Schokoladenmachers weiter aus, bis ihm zwischen 1775 und 1780 der Landgraf von Hessen-Kassel das Angebot machte, in Kassel eine Schokoladenfabrik zu errichten und in Kassel sich für immer nierderzulassen. Meinke nahm das Angebot an, siedelte nach Kassel über. Die Steinhuder Schokoladenfabrikation übergab er seinem ältesten Sohn.

Eine Rollenpackung der Steinhuder Schokolade,die auch entsprechend ektikettiert bzw. gekennzeichnet war, anfangs „AECHTE STEINHUDER CHOCOLADE“

Buchquelle:
„Steinhude …bevor die Fremden kamen“ von Rudi Diersche

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